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Macht, Partizipation und Gewaltenteilung in der Diskussion

Die Video-Beiträge der theologisch hochkarätig und prominent besetzten Tagung zum Synodalen Weg und zur Zukunft der katholischen Kirche sind jetzt online!

 

 

Die Videos finden Sie hier.

„Die Wolfsburg" hat gemeinsam mit den Kath. Akademien der (Erz-) Bistümer Berlin, Erfurt, Hamburg und Münster zur internationalen Tagung zu Fragen von Macht, Partizipation und Gewaltenteilung in der katholischen Kirche eingeladen. Auch die Ruhr-Universität Bochum war beteiligt. Im Mittelpunkt der Tagung, die damit ein Thema des Synodalen Wegs aufgriff, standen die vertiefte theologische, interdisziplinäre und internationale Reflexion des Machtthemas in der katholischen Kirche. Über die Synodalversammlungen und Foren hinaus entstand eine Denkumgebung für Perspektivwechsel und das Aufbrechen festgefahrener Denkmuster: „Offenheit für das bessere Argument.“ Die Tagung steht in einer Reihe weiterer internationaler Akademietagungen, die in den nächsten Monaten in Münster, Frankfurt und Erfurt stattfinden werden.

Ob die deutsche Kirche sich in die demokratisch geprägte, freiheitlich-rechtsstaatliche Gesellschaft einbetten lässt, hängt in hohem Maße davon ab, wie sie künftig mit Macht und Gewaltenteilung umgeht. Ob Machtbegrenzung, Kontrollsysteme und die Beteiligung aller Katholiken an Schlüsselpositionen in der Organisation Kirche verankert werden können, hat eine internationale Tagung zum Synodalforum „Macht, Partizipation und Gewaltenteilung“ des Synodalen Wegs der katholischen Kirche am Montag und Dienstag (1./2. März 2021) ausgelotet. Digital ausgerichtet wurde die Tagung von der katholischen Akademie des Bistums Essen „Die Wolfsburg“ in Kooperation mit den Akademien der Diözesen Münster, Berlin, Hamburg und Erfurt sowie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Mehr als 20 Theologie-Professorinnen und –Professoren, Bischöfe und Fachleute drehten und wendeten den Macht-Begriff aus den unterschiedlichsten theologischen Blickwinkeln. Dank des Digital-Formats der Tagung nutzten die 120 Teilnehmer rege die Möglichkeit, sich parallel zu den Vorträgen im Chat kritisch auszutauschen.

Deutsch-römische „Übersetzungsversuche“

Deutsch-römische „Übersetzungsversuche“ wagten zu Anfang drei in Rom ansässige deutsche Theologen. Pater Mauritius Wilde, Prior des Benediktiner-Klosters Sant’Anselmo, erlebt die meisten Amtsträger im Vatikan als „sehr bereit zu schauen, wie man helfen kann“, wobei es in Rom zugleich hohes Interesse an der Einheit gebe. Yvonne Dohna, die die Redaktion der monatlich erscheinenden Frauenzeitung „Donne Chiesa Mondo“ („Frauen, Kirche, Welt“) des Vatikans verantwortet, erkennt in ihrem Umfeld wenig Interesse am deutschen Synodalen Weg, der als kleine nationale Episode wahrgenommen werde. Der geistliche Botschaftsrat Oliver Lahl erwartet, dass sich durch die Personalentscheidungen von Papst Franziskus die Kommunikation zwischen Rom und Ortskirchen auf Dauer verändern werde. Lahl sieht aber auch eine starke internationale Vernetzung derer, „die 100 Prozent katholisch sein wollen, was auch immer das heißt“, und die auch in der Kurie stark vertreten seien.

Den zunehmenden Einfluss strukturkonservativer, gut vernetzter Katholiken, die mit Geld Meinungsmache unterstützten, beobachtet auch die Dogmatikerin Johanna Rahner (Universität Tübingen). Mit der „unheiligen Allianz von Politik, Geld und Macht in der katholischen Kirche“ ging sie hart ins Gericht: „Dazu gehört auch das Ideal einer starken Identität des Exklusiv-Katholischen gegen die lauen Taufschein-Christen – das ist nichts anderes als eine spätmoderne Auswahlform des Katholisch-Seins.“ Kann man das Ruder der Kirche noch herumreißen? „Die Zeit wird knapp“, sagte Rahner. 

Die „klerikale Kirche“ gibt es erst seit 1800

Die so umstrittene Kleriker-Hierarchie wird erst ab dem Jahr 1800 als „Kirche“ bezeichnet. Vorher, so erläuterte der Kirchenhistoriker Norbert Köster (Universität Münster), organisierten die Menschen sich ihre Religiosität selbst, riefen ihren Gott an und brauchten den Priester nur als Sakramentenspender. Die damaligen „Pfarreien“ definierten sich vor allem als Zehntzahlungsbezirk; die Kirchenfinanzen waren ohnehin immer schon in der Hand der Laien. Das Weiheamt der Priester und die Gerichtsbarkeit der kirchlichen Hierarchie waren getrennt – auch die mächtigen Fürstäbtissinnen gehörten deshalb zum Klerus. Erst das Zweite Vatikanische Konzil in den 1960er Jahren stellte den Bischof an die Spitze des Weihe-Amtes und verband so erstmals priesterliche Funktionen mit dem Kleriker-Status. Kösters Fazit: In der Kirchengeschichte finden sich zwar nicht geweihte Frauen, wohl aber Klerikerinnen.

Internationale Erfahrungen mit Machtbegrenzung

Dass die Machtausübung der Kirche heute stark vom gesellschaftlichen Kontext ihrer Region abhängt, stellten drei Bischöfe für Brasilien, Irland und Deutschland dar. Der deutschstämmige Franziskaner Bernhard Johannes Bahlmann, Bischof von Óbidos im brasilianischen Amazonasgebiet, berichtete von der Eigenständigkeit der Christen in den weit verstreut liegenden Gemeinden und von der Diskussionskultur der indigenen Völker, die stundenlang miteinander reden, bis eine gemeinsame Entscheidung gereift ist. Der Priester könne bei seinen seltenen Besuchen nur Ideen geben und motivieren: „Alles andere läuft selbständig.“

Noel Treanor, Bischof von Down and Connor in Nordirland, listete auf, mit welchen unabhängigen Gremien und Schutzkonzepten zu Prävention und Intervention die irische Kirche nach der Aufdeckung eines Missbrauchsskandals durch den Murphy-Bericht 2009 die eigene Machtausübung begrenzt hat.

Zeichen der Zeit ergänzen Schrift, Tradition und Lehramt

Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck hält die Einbettung der Kirche in die freiheitlich-rechtsstaatliche Gesellschaft für zwingend notwendig, um verloren gegangenes Vertrauen wieder zu finden. Dabei gehe es nicht um eine unkritische Übernahme gesellschaftlicher Praxis, sondern darum, mitten in der Gesellschaft einen prophetisch kritischen Auftrag zu erfüllen. „Die ‚Zeichen der Zeit‘ und der ‚Glaubenssinn des Volkes Gottes‘ ergänzen die reiche Geschichte der Erkenntnis der Offenbarung Gottes durch Schrift, Tradition und Lehramt“, sagte Overbeck.

Seine eigene Begrenztheit in seiner Entscheidungsgewalt als Bischof erfahre er angesichts des Priestermangels. Der Priester leiste einen sakramentalen, geistlichen, mit Macht ausgestatteten Dienst; sein Amt sei ein Zeichen für die Wirkmächtigkeit Gottes in der Welt. „Ämter müssen erweitert werden. Ich sehe nicht, dass wir den Bedarf nur mit zölibatär lebenden Männern abbilden können.“ Sehr konkrete Formen von Gewaltenteilung, die ihn im Bischofsamt binden, ergeben sich laut Overbeck bei der Übersicht und Aufsicht über Vermögen und Wohlfahrt – im Bistum Essen konkret durch den Kirchensteuer- und Vermögensrat, auf dessen kompetente Beratung und Mitentscheidung der Bischof angewiesen sei. In der Tradition der Benediktiner und Jesuiten ist Overbeck dennoch überzeugt, dass es eine Letztverantwortung des Bischofs geben müsse.

Jungen Menschen vermitteln: Christen sollen globale Verantwortung tragen

Einen Blick über konfessionelle Grenzen hinweg warf der Soziologe Hans Joas (Universität Berlin). Die katholische Kirche sei ein einzigartiges, 2000 Jahre altes Konstrukt, das sich – im Unterschied zu anderen alten Kulturen wie Buddhismus, Islam oder der chinesischen Zivilisation – jenseits von Stamm, Volk oder Staat definiere. Die Sorge der Christen solle sich auf alle Menschen richten, nicht nur auf die eigenen Glaubensgeschwister. „Viele junge Menschen haben heute diese globale Sensibilität. Tragisch, dass sie nicht erkennen, dass das alles im Christentum angelegt ist“, sagte Joas. Machtverzicht der Kirche bedeutet laut Joas, die Wahrheitsansprüche anderer christlicher Gemeinschaften und Kirchen nicht zu relativieren, sondern den Zusammenhalt zu bewahren und auch bereit zu sein, auf andere Religionen zu schauen, mit denen sie das Ideal eines moralischen Universalismus teilt. Zur Sicherung der Gewaltenteilung innerhalb der Kirche plädiert Joas für klare Führungs- und ebenso klare Kontrollstrukturen auf allen Ebenen von der Pfarrgemeinde über die Bistümer bis zur Weltebene. In der Kirche als „Genossenschaft der Gläubigen“ gebe es Zentralität nur im Hinblick auf die elementaren Lehren des Glaubens. In seinen dezentralen Spielräumen sei das Christentum immer schon von Epochen und Kulturen geprägt und nicht einfach von der Botschaft des Evangeliums.

Partizipation: In der Taufe begründet, im Synodalen Weg umgesetzt

Der Neutestamentler Thomas Söding (Ruhr-Universität Bochum) findet Partizipationsrechte sakramental in der Taufe begründet, die nicht nach Geschlecht, Herkunft oder Status unterscheidet. Aufgabe der Bischöfe sei es demzufolge, die Rechte der Gläubigen zu schützen und zu fördern: „Die Teilhabe an Gott ist unendlich weiter als die Teilhabe an der Kirche. Das muss in der Kirche zum Ausdruck kommen“, so Söding.

Aus Sicht des Fundamentaltheologen Gregor-Maria Hoff (Paris-Lodron-Universität Salzburg) ist die Tatsache, dass der Synodale Weg mit großer Mehrheit beschlossen wurde, bereits das Ergebnis praktizierter Gewaltenteilung der deutschen Bischöfe. Dadurch sei ein eigenes neues Format kirchlicher Beratung mit starker spiritueller Note entstanden – ein „Experiment“, ohne das die deutschen Bischöfe angesichts der massiven Kirchenkrise nicht handlungsfähig gewesen wären, auch wenn der Synodale Weg mangels Anbindung an das Kirchengesetz auf Kritik stoße.

Kritik am Synodalen Weg

Der Salesianer-Pater Markus Graulich, Kirchenrechtler der vatikanischen Kurie, beobachtet dagegen mit „Interesse und Verwunderung“ den Synodalen Weg. Seine Anfragen an dessen Grundlagentext betreffen die Forderung, der Kleriker solle seine Amtsführung vor den Gläubigen verantworten. Graulich hält dagegen: „Hat der Amtsträger sein Amt nicht zuerst vor Gott zu verantworten?“ Für das Amt des Pfarrers und Bischofs schlägt der Grundlagentext des Synodalen Weges unter anderem eine Wahl durch die Gläubigen vor. Nach Graulichs Einschätzung hängt die Glaubwürdigkeit dieser Dienste jedoch mehr von der Lebensführung des Einzelnen als von dessen Wahl ab; naiv sei es zu glauben, jeder Politiker sei aufgrund des Wahlverfahrens auch glaubwürdig.

Auch Daniel Deckers, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und als Beobachter zur Tagung eingeladen, übt Kritik am Synodalen Weg, wenn auch aus anderer Perspektive. Er wirft den Akteuren vor, nicht klar zu definieren, was mit dem „wunderbaren Container-Begriff“ Synodalität eigentlich gemeint sei. Papst Franziskus wolle eine synodale Kirche, deren Regeln er aber selbst bestimme. In Entscheidungsfragen von Deutschland aus auf Rom zu verweisen, sei Augenwischerei: „Vieles ist auf Ortsebene machbar. Nichts zu tun, ist auch Machtmissbrauch.“ Den öffentlichen Auftritt des Reformvorhabens findet Deckers schwach: „Außerhalb des inneren Kerns der Kirche findet der Synodale Weg öffentlich keine Resonanz.“ Außerdem vermisst Deckers die Machtkontrolle durch Laien: Sie machten sich zu Komplizen des Machtsystems, wenn sie unkritisch loyal an der Seite der Bischofskonferenz ständen oder als Finanzchef im Bistum ohne Rückmeldung horrende Berater-Rechnungen abzeichneten.

Diese Reformen sind möglich

Konkrete Reformschritte ergeben sich aus dem Kirchenrecht. Sofort umsetzbar sind laut Sabine Demel (Universität Regensburg) die freiwillige Rechenschaftsverpflichtung des Bischofs und Pfarrers gegenüber den Gläubigen, außerdem die Einrichtung von Ombudsstellen für Beschwerden über Machtmissbrauch. Eine Gesetzesreform sei hingegen nötig, wenn man Zugangsrechte zu Diensten und Ämtern außerhalb des Weiheamtes ermöglichen wolle: etwa zur Predigt im Gottesdienst, zur Krankensalbung oder zum Amt des Kirchenrichters. Das Kirchenrecht sehe hier bereits heute im Ausnahmefall eine Genehmigung für Laien vor, so dass nur die Ausnahme-Klausel gestrichen werden müsse. Die Mitentscheidungsrechte der Laien bei synodalen Zusammenkünften zu erweitern, brauche ebenfalls eine Überarbeitung des Gesetzestextes. Dann könne man den Anteil der Laien erhöhen, ihnen gleiches Stimmrecht zubilligen und für das Einspruchsrecht der kirchlichen Autorität eine verpflichtende Begründung einführen.

„Raus aus der Komfortzone“, forderte Matthias Sellmann (Ruhr-Universität Bochum) im Namen der Praktischen Theologie. Praktisches Lösungswissen sei beim Synodalen Weg gefragt. Dafür müsse man sich auf die Kirche als Organisation konzentrieren und Kriterien, Standards und Verfahren der Machtkontrolle entwickeln. Das Ergebnis müsse eine real wirksame, messbare Veränderung der Machtverteilung sein. Qualitätskontrolle und Evaluation für pastorale Berufe sei dabei kein Tabu: Caritas und Kasualien (Segnungsgottesdienste wie Taufe oder Hochzeit an den Schwellen des Lebens) seien nach wie vor stark gefragt. Sellmann: „Wenn das gut gemacht wird, kommt Kirche gut an.“

Text: Cordula Spangenberg | Bistum Essen

Bild: Nicole Cronauge | Bistum Essen

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