
Demokratie unter Druck: Bischof diskutiert über die Widerstandskraft von Staat und öffentlichem Dienst
Podiumsgespräch in der Bistumsakademie „Die Wolfsburg“
Auf der Suche nach Rezepten für einen Staat, der sich besser gegen Anfeindungen wehren kann, mahnte Bischof Overbeck in der „Wolfsburg“, die Kirche solle sich in einer immer säkulareren Welt „nicht zu viel auf die Wirkmächtigkeit ihrer religiös begründeten Ethik einbilden“. Zugleich wehrte er sich gegen Kritik, die Kirchen mischten sich zu viel in die Tagespolitik ein: „Politik ist immer auch die andere Seite der Frömmigkeit.“
Wie resilient sind der Staat und seine Bediensteten und wie können sie resilienter werden, um die zunehmend angefochtene Demokratie zu schützen und zu stärken? Darüber diskutierte Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck am Dienstag, 17. Juni 2025, bei einer Podiumsdiskussion in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ mit der Polizeibeamtin und ehemaligen Thüringischen Justizministerin Doreen Denstädt, dem Leiter der Polizeiabteilung im NRW-Innenministerium, Gerrit Weber, und der an der Deutschen Polizeihochschule in Münster lehrenden Historikerin Haydee Mareike Haass.
Dabei plädierte der Bischof für einen „vernunftbasierten Glauben, der der Freiheit dient, die mit unserer Bindung an Gott zu tun hat.“ Er mache sich aber keine Illusionen darüber, „dass wir uns als Kirche in einer zunehmend säkularen und pluralen Welt nicht zu viel auf die Wirkmächtigkeit unserer religiös begründeten Ethik einbilden sollten.“ Zugleich wehrte er sich gegen die Kritik von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU), die den Kirchen vorgeworfen hatte, unter anderem durch Stellungnahmen zu tagesaktuellen Themen „austauschbar“ zu werden. Auch vor dem Hintergrund der AfD-Kritik der Deutschen Bischofskonferenz betonte Overbeck: „Gott ist Mensch geworden. Und deshalb ist Politik immer auch die andere Seite der Frömmigkeit und die strittige Diskussion der Kern der Demokratie.“ Selbstkritisch wies er darauf hin, dass auch Christinnen und Christen nicht gegen rechtsextreme und rechtspopulistische Denkmuster immun seien. Mit Blick auf die junge Generation und den sozialen Megatrend der Digitalisierung sieht er Staat, Kirchen und Parteien vor der Herausforderung, „Menschen im Internet auch emotional anzusprechen und zu erreichen und dieses Feld nicht der extremen Linken und Rechten zu überlassen.“


Rechtsextremismus in der Polizei
„Wie besorgt sind Sie um unsere Demokratie?“, fragte Akademiedozent Jens Oboth, der die Runde gemeinsam mit Claudia Tutino vom Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW moderierte, den Polizei-Abteilungsleiter des NRW-Innenministeriums – gerade angesichts von Rechtsextremismus-Fällen in den Reihen der Ordnungshüter. „Unter den 57.000 Polizeibeamtinnen und -beamten haben wir bisher 400 Verdachtsfälle gehabt, von denen sich aber nur ein Drittel erhärtet hat“, machte Gerrit Weber die Relation des Rechtsextremismus-Problems bei der Polizei an Rhein und Ruhr deutlich. Er sei „vorsichtig besorgt“ und riet „zur Wachsamkeit“, warnte aber auch vor einer „Dramatisierung des Problems.“ Weber räumte ein, dass die in der zum Polizeipräsidium Essen gehörenden Mülheimer Inspektion aufgedeckte rechtsextreme Chatgruppe „die NRW-Polizei ins Mark getroffen hat“, sagte aber mit Blick auf die Polizei in NRW: „Wir sind nach Mülheim besser geworden und ich glaube, dass die Polizeibeamten über den gesellschaftlichen Durchschnitt hinaus auf dem Boden des Grundgesetzes und unserer Demokratie stehen und sich selbst als Anwälte der Menschenrechte verstehen, auch und gerade dann, wenn sie hart ein- und durchgreifen müssen.“ Mit Blick auf die emotional belastenden Rahmenbedingungen der von der Öffentlichkeit kritisch beobachteten Polizeiarbeit mahnte er vor „einer zu selbstgerechten Haltung.“

Neutralität und der „Ernstfall der Demokratie“
Vor dem Hintergrund ihrer Thüringer Erfahrungen beurteilte Polizeibeamtin und Ex-Ministerin Doreen Denstädt die Demokratie-Resilienz des Öffentlichen Dienstes, einschließlich der Polizei, deutlich kritischer. Deshalb hat sie den Verein Verwaltung für Demokratie ins Leben gerufen, der eine Demokratie-Handreichung für den Öffentlichen Dienst erstellt hat. „Seit dem NSU und der AfD im Landtag wissen wir, dass wir keine Zeit mehr haben, um abzuwarten“, betonte Denstädt und fügte hinzu: „Polizei- und Verwaltungsbeamtinnen und -beamte sind zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet, aber sie können nicht politisch neutral sein, wenn unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Menschenwürde mit rechtsextremen und rechtspopulistischen Narativen angegriffen werden. Wenn Verwaltung und Polizei in diesem Ernstfall der Demokratie sagen: ‚Da halten wir uns lieber raus‘, wird es gefährlich. Deshalb müssen wir lernen, die rechtlichen Mittel zu nutzen, die uns das Grundgesetz an die Hand gegeben hat, um unsere Demokratie zu verteidigen und die Menschen zurückzugewinnen, die wir verloren haben.“



„Mit der Verteidigung unserer Demokratie ist es jetzt wirklich ernst.“
Das wird nach Ansicht der Historikerin Haydée Mareike Haass aber nur gelingen, „wenn wir dafür partizipativ und inklusiv gestaltete Dialogräume schaffen, die personell und finanziell gut ausgestattet sind, weil es jetzt mit der Verteidigung unserer Demokratie wirklich ernst ist.“ Dabei komme praxisbezogene politische Bildung nicht um eine sozialkritische Analyse unserer gesellschaftlichen Realitäten herum, weshalb sie oft „als linkslastig gelabelt“ werde.
Text: Dr. Thomas Emons und Thomas Rünker | Bistum Essen