Beim Sommerempfang von Bischof Franz-Josef Overbeck in der Mülheimer Bistumsakademie Die Wolfsburg sprachen Overbeck, der auch deutscher Militärbischof ist, und der ranghöchste deutsche Soldat über die gesellschaftlichen Veränderungen angesichts neuer militärischer Bedrohungen.
Deutschland muss sich weiter zu einer „wehrhaften Gesellschaft” entwickeln, um sich gegen mögliche künftige Bedrohungen verteidigen zu können. Das hat der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, am Montagabend, 1. Juli 2024, beim Sommerempfang des Essener Bischofs Franz-Josef Overbeck betont. „Der Begriff ,Zeitenwende‘ suggeriert, dass wir da einen Schalter umlegen und dann die Zeitenwende da ist“, sagte Breuer in der Wolfsburg in Mülheim im Gespräch mit Overbeck, der auch Militärbischof für die Bundeswehr ist. Das Podiumsgespräch moderierte Akademie-Direktorin Judith Wolf.
Doch stattdessen gehe es um einen „ganz langen Prozess, durch den wir durchgehen“, unterstrich Breuer. In diesem Prozess „sind wir längst noch nicht da, wo wir aus meiner Sicht sein müssten – aber wir sind schon einen ganz schön großen Schritt gegangen“, so Breuer, der der ranghöchste deutsche Soldat und militärischer Berater der Bundesregierung ist.
Das Verhältnis der Gesellschaft zur Bundeswehr hat sich verändert
Wie sehr sich insbesondere das Verhältnis der deutschen Gesellschaft zur Bundeswehr verändert hat, wurde an diesem Abend vor allem durch Details deutlich, zum Beispiel durch den intensiven und langanhaltenden Applaus der rund 300 Gäste für Breuer, und durch Anekdoten, die der General in das Gespräch einstreute.
So habe ihn sein britischer Amtskollege jüngst zur Seite genommen und gesagt: „Ihr Deutschen habt euch verändert.“ War Deutschland einst in Sicherheitsfragen sehr zurückhaltend, spielt das bevölkerungsreichste Land in der EU hier heute eine aktivere Rolle. Innerhalb Deutschlands sei die Wertschätzung für die Bundeswehr unter anderem durch die zahlreichen Aktivitäten in der Corona-Zeit oder den Einsatz nach der Flut im Ahrtal gestiegen. Auch nach dem militärisch hochriskanten Rückzug aus der afghanischen Hauptstadt Kabul habe er zahlreiche positive Rückmeldungen erhalten. „Es gibt heute einen anderen Blick auf Soldatinnen und Soldaten. Wir sind mitten in der Gesellschaft“, fasste Breuer zusammen.
Aktuell habe dies natürlich vor allem mit dem Krieg in der Ukraine zu tun: „In der Ukraine passiert etwas, das wir nicht wegdiskutieren können. Wir müssen uns dazu verhalten“, betonte Breuer. „Wenn wir uns dazu verhalten, können wir nicht sagen, irgendwer wird es für uns lösen – nein, wir müssen es selbst lösen.“ Bischof Overbeck unterstrich diese aktive Rolle Deutschlands in der Unterstützung der Ukraine: „Wir müssen immer wieder betonen, dass es sich dabei um einen Systemkrieg handelt. Hier müssen wir uns unbedingt für unsere Freiheit einsetzen, für Demokratie, Rechtsstaat und Soziale Marktwirtschaft.“
Overbeck betont „ungeschönte, ehrliche und verlässliche Kommunikation“
Wichtig sei hierfür eine „ungeschönte, ehrliche und verlässliche Kommunikation“, hob der Bischof hervor. „Wir versuchen sehr offen mit klaren Worten zu kommunizieren, die manchmal anecken“, sagte Breuer, der auch in Mülheim von „kriegstüchtigen“ Soldatinnen und Soldaten und einer „wehrhaften Gesellschaft“ sprach. „Dies machen wir nicht, um Angst zu machen, sondern um Klarheit zu erzeugen.“ Overbeck verwies angesichts der großen Veränderungen in der Gesellschaft auf „immense ethische und moralische und damit innere Prozesse von Menschen“. Es gehe darum, „die Verantwortungskarte zu ziehen und klar zu sagen, was nötig ist, um unsere Freiheit zu erhalten.“
Die konkreten Konsequenzen dieser moralischen Fragen machte der Generalinspekteur an den Punkten Finanzen und Wehrpflicht deutlich. Die laufenden Verteidigungsausgaben müssten trotz des 100 Milliarden Euro starken Sondervermögens steigen, weil dieses lediglich die Lücke der vernachlässigten Investitionen der vergangenen 30 Jahre gestopft habe. „Wir müssen jetzt den Verteidigungshaushalt erhöhen“, sagte Breuer mit Blick auf die aktuellen Haushaltsberatungen in Berlin. „Sonst könnten wir 2028/2029 in eine Diskussion ,Kampfpanzer oder Kindergarten‘ geraten, die unsere Gesellschaft sehr stark belasten würde.“
„Wehrpflicht dient nicht dazu, die Personalstärke der Bundeswehr zu erhöhen“
Hinsichtlich der vor drei Wochen von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorgestellten Pläne für einen neuen Wehrdienst betonte General Breuer: „Eine Wehrpflicht dient nicht dazu, die Personalstärke der Bundeswehr zu erhöhen.“ Die geplante Vergrößerung der Bundeswehr von derzeit 180.000 auf dann 203.000 Soldatinnen und Soldaten müsse durch andere Personalmaßnahmen erreicht werden. „Die Wehrpflicht dient einzig und allein einer militärischen Aufwuchsfähigkeit“, so Breuer, also der Vergrößerung der Zahl an Reservistinnen und Reservisten. Diese würden im Verteidigungsfall vor allem Einrichtungen im Inland schützen, während die Berufssoldatinnen und -soldaten zum Beispiel die Ostflanke der Nato verteidigten.
INFO: Gäste aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen
Generalvikar Klaus Pfeffer begrüßte die rund 300 Gäste des Sommerempfangs des Ruhrbischofs in der Bistumsakademie Die Wolfsburg. Der hohe Zuspruch von Gästen aus Politik und Verwaltung, Wirtschaft, den Kirchen, Kultur, Sozial- und Gesundheitswesen, Bildung, Wissenschaft und vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen sei „ein bemerkenswertes Zeichen in einer Zeit, wo Kräfte Oberhand gewinnen, die uns auseinandertreiben wollen“, sagte Pfeffer auch mit Blick auf die zehntausenden Menschen, die am vergangenen Wochenende in Essen gegen den AfD-Bundesparteitag demonstriert hatten. Er sei dankbar für „dieses deutliche Signal aus der ganzen Breite unserer Gesellschaft“, das die Demonstrierenden in Essen gesetzt hätten. Zugleich nutzte er die Gelegenheit für einen „ausdrücklichen Dank an alle Sicherheitskräfte und staatlichen Behörden, die am vergangenen Wochenende wirklich Großes geleistet haben“ und verurteilte scharf, dass einzelne Gruppen „den Anlass genutzt haben, um Gewalt auszuüben“.
Text: Thomas Rünker | Bistum Essen und Maria Kindler | Die Wolfsburg
Foto: Nicole Cronauge | Bistum Essen